Coniin
Gefleckter Schierling
Autor: MONIKA LENZER
Der gefleckte Schierling ist eines der giftigsten Doldengewächse. Bereits in der Antike erregte der tödliche Schierlingsbecher einiges Aufsehen.
Der gefleckte Schierling (Conium maculatum) erreicht eine stolze Höhe von bis zu 2,5 Metern und bildet weissliche, zehn- bis 20-strahlige Dolden mit Hüllblättern. Vor allem im unteren Bereich ist sein runder, feingerillter Stängel mit rötlich-violetten Flecken übersät. Zudem ist er blau bereift, wie es auch bei Pflaumen zu beobachten ist. Dies ist ein hilfreiches Merkmal, um ihn von den vielen, ähnlich aussehenden Verwandten aus der Familie der Doldengewächse (Apiaceae) zu unterscheiden – insbesondere mit dem Wiesenkerbel (Anthriscus sylvestris) wird er leicht verwechselt. Charakteristisch ist vor allem auch sein intensiver Geruch nach Mäuse-Urin, wenn Pflanzenteile zwischen den Fingern zerrieben werden. Doch Vorsicht beim Berühren: Sein Gift wird gut über die Haut und Schleimhäute aufgenommen.
Gut zu wissen: Auch die Blüten der Gelben Schlauchpflanze (Sarracenia flava) riechen nach Urin – nach dem von Katze. Dieses Sumpfgewächs produziert nämlich ebenfalls kleine Mengen von Coniin, um die Beute zu betäuben. Diese fleischfressende Pflanze bildet dazu trichterförmige, aufrechte Schläuche, um darin Insekten zu fangen.
Ein Piperidinalkaloid
Alle Teile des Gefleckten Schierlings sind giftig, doch in den gerippten, anisähnlichen Samen sind am meisten Giftstoffe enthalten – zwischen 0,2 bis zwei Prozent Piperidinalkaloide stecken in ihnen. Coniin und auch gamma-Conicein sind in erster Linie die Hauptalkaloide. Weitere Nebenalkaloide sind Conhydrin, Pseudoconhydrin und Methylconiin.
Der deutsche Chemiker Albert Ladenburg (1842–1911) synthetisierte übrigens erstmals 1886 die Reinsubstanz Coniin – damit gelang die erste Totalsynthese eines Alkaloids.
Die tödliche Dosis von Coniin bei einem Erwachsenen entspricht circa 500 bis 1000 Milligramm. Coniin entfaltet im Körper eine curareartige Giftwirkung, wobei Acetylcholin-Rezeptoren blockiert werden. Dadurch werden die motorischen Nervenendigungen der quergestreiften Muskulatur zunächst erregt und dann gelähmt. Zudem werden nikotinähnliche Wirkungen auf die sympathischen und parasympathischen Ganglien beobachtet.
Aufsteigende Lähmung
Äusserlich kann der Pflanzensaft die Haut reizen. Bei der Einnahme ist üblicherweise ein brennender Geschmack im Mund wahrnehmbar. Vermehrte Speichelbildung, Übelkeit und Erbrechen können Begleitsymptome sein.
Ganz charakteristisch ist, dass der Vergiftete zu Beginn seine Füsse und Beine nicht mehr spürt. Diese Lähmung steigt dann über das Rückenmark am Körper hoch. Wenn schliesslich das Atemzentrum erreicht wird, tritt der Tod nach einer halben bis fünf Stunden durch Atemlähmung ein. Qualvoll wird dies alles bei vollem Bewusstsein wahrgenommen.
Bei der Behandlung stehen eine endotracheale Intubation und Beatmung im Vordergrund, solange wie die Atemschwäche vorliegt. Es gibt einen Fallbericht aus der Türkei, wobei eine Frau über 16 Stunden lang künstlich beatmet wurde. Auf diese Weise konnte sie eine schwere Vergiftung überleben, nachdem sie versehentlich Schierling mit einer Kälberkropf-Art (Chaerophyllum macropodum) verwechselte, womit eine bestimmte, landestypische Käsesorte produziert wird.
Der Schierlingsbecher
Der Schierlingsbecher war eine beliebte Hinrichtungsmethode im alten Athen. Das bekannteste Opfer war der griechische Philosoph Sokrates (469–399 v. Chr.), der im Jahr 399 v. Chr. nach einer konstruierten Anklage zum Tode verurteilt wurde. Seine Gegner warfen ihm Gotteslästerung und den Verderb der athenischen Jugend vor. Sein Schüler Platon (427–347 v. Chr.) berichtete in seinem Werk namens Phaidon, wie Sokrates sich dem ungerechten Urteil stellte und mit Fassung den Schierlingsbecher trank.
Doch es gibt auch Gutes über Coniin zu berichten. In älteren Arzneibüchern wird erwähnt, dass das Hydrobromid von Coniin äusserlich als schmerzstillende Einreibung verwendet wurde.
Wie so oft, liegen Gutes und Schlechtes nahe beieinander.
Newsletter
Jetzt anmelden!