Gesunder Darm – gesunder Mensch
Darmflora im Fokus
TEXT: KLAUS DUFFNER
Der Darm regelt nicht nur die Verdauung und den Stoffwechsel, sondern ist auch das grösste Immunsystem des Körpers. Dabei spielen Bakterien eine entscheidende Rolle. Eine ausgeglichene Mikroflora ist der Schlüssel zur Darmgesundheit.
Mit einer Länge von vier bis sieben Metern, einer Fläche von bis zu 400 m², einer bakteriellen Besiedlung von über 100 Billionen Mikroorganismen und rund 1000 verschiedenen Bakterienspezies ist der Darm nicht nur ein Verdauungsorgan, sondern auch ein elementarer Teil des Immunsystems. Er bildet eine damit eine Barriere, die das Eindringen pathogener Keime und toxischer Substanzen in den Blutkreislauf verhindert. Zentrale Aufgabe des Darms bleibt jedoch die Zerlegung der Nahrung in ihre Bestandteile und die Bereitstellung von Vitaminen, Mineralstoffen, Fetten, Kohlenhydraten und Proteinen im Blut.
Gesundes Mikrobiom mit hoher Diversität
Mit dem Bewusstsein für die Wichtigkeit der Darmgesundheit rückt seit gut 20 Jahren das Mikrobiom des Darms zunehmend in den Fokus der Wissenschaft. Die Zusammensetzung der Mikroorganismen, bestehend aus einer komplexen Gemeinschaft aus Bakterien, Viren, Pilzen und Archaeen, ist individuell verschieden. Ein gesundes Mikrobiom (u. a. mit Bacteroides, Firmicutes, Lactobacillus, Bifidobacterium, Faecalibacterium) weist eine hohe Diversität auf und spielt eine wesentliche Rolle bei der Aufrechterhaltung des immunologischen Abwehrsystems in der Schleimhaut. Immerhin sitzen in den Schleimhäuten des Verdauungstrakts rund 70 bis 80 Prozent der körpereigenen Immunzellen. In den Zellen der Darmmucosa wird 90 Prozent des körpereigenen Serotonins produziert, ein Hormon, das viele Körperfunktionen reguliert, darunter Stimmung, Schlaf, Appetit und die Darmtätigkeit, aber auch Stimmung beeinflusst und eine Rolle bei Schmerzempfinden, Blutgerinnung und Blutdruck spielt.
Dysbalance der Darmflora
Dagegen zeichnet sich ein krankes Mikrobiom durch eine Verringerung der Vielfalt der Bakterien und Verminderung von gesundheitsfördernden Bakterienspezies aus. Ein solches Ungleichgewicht in der Mikroflora (Dysbiose) wird mit zahlreichen Erkrankungen in Verbindung gebracht. So besteht bei Menschen mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa häufig eine Verminderung der nützlichen Bakteriengruppe der Firmicutes wie Faecalibacterium prausnitzii und gleichzeitig ein Übermass an Proteobakterien. Das Reizdarmsyndrom, das metabolische Syndrom, Nahrungsmittelintoleranzen, Allergien, Autoimmunerkrankungen, Diabetes, Krebs oder – über die Darm-Hirn-Achse – neurologische Erkrankungen und Depressionen können ebenfalls vom Darm getriggert werden.
Apropos Depression: Gemäss einer vom Deutschen Zentrum für Diabetesforschung unterstützte Studie mit 932 Teilnehmenden, von denen rund die Hälfte unter Depressionen litten, existiere ein Zusammenhang zwischen dem Konsum von Softdrinks und der Diagnose einer Depression sowie der Schwere der Symptome. Vor allem bei Frauen, die regelmässig zuckerhaltige Limonaden getrunken hatten, fanden die Forscher eine deutlich erhöhte Anzahl von Bakterien der Gattung Eggerthella im Darm. Frühere Studien hatten gezeigt, dass Eggerthella bei Menschen mit Depressionen vermehrt vorkomme. Die Wissenschaftler vermuten, dass dieses Bakterium ein Bindeglied zwischen dem Konsum von Softdrinks und der Entwicklung depressiver Symptome sein könnte.
Neue Ergebnisse gibt es auch zur Verbindung zwischen dem Verdauungstrakt und dem Gehirn, der Darm-Hirn-Achse. So konnten Wissenschaftler unlängst einen neuronalen Schaltkreis identifizieren, der das Gehirn mit den sogenannten Brunner-Drüsen im oberen Abschnitt des Dünndarms verbindet. Bei Stress reduziert die für die Verarbeitung von Emotionen zuständige Amygdala im Gehirn ihre Aktivität. Da sie dadurch weniger Signale an den Vagusnerv sendet, sondern die Brunner-Drüsen weniger Schleim ab. Dies beeinträchtigt wiederum die immunologische Darmbarriere.
Ernährung als Schlüssel zur Darmgesundheit
Das Mikrobiom und damit seine Funktionen werden durch äussere Einflüsse wie Ernährung, Lebensstil oder Umweltfaktoren stark beeinflusst. So können bestimmte Medikamente wie beispielsweise Antibiotika, NSAR oder Protonenpumpenhemmer, aber auch Schlafmangel, fehlende Bewegung oder Stress das Bakteriengleichgewicht zum Teil empfindlich stören. Als der stärkste modulierbare Faktor des Mikrobioms gilt jedoch die Ernährung.
Einseitiges Essen mit hohem Gehalt an gesättigten Fettsäuren, Emulgatoren, raffiniertem Zucker und wenig Ballaststoffen belasten die Mikroorganismen. Umgekehrt zeigen Studien, dass die Darmgesundheit durch eine ausgewogene ballaststoffreiche Ernährung, frisches Obst und Gemüse, ungesättigte Fettsäuren, ausreichend Bewegung, genügend Schlaf, gutes Stressmanagement sowie regelmässige Essenspausen gefördert wird. Ebenso können probiotische Lebensmittel wie Joghurt, Kefir oder Sauerkraut die Darmflora mit lebenden Mikroorganismen unterstützen. Sodann kann weniger Essen bisweilen hilfreich sein.
In einer Studie aus dem Jahr 2021 bekamen 80 ältere Frauen mit Übergewicht eine Diät, die ihre tägliche Kalorienaufnahme auf 800 Kalorien begrenzte. Daraufhin stellten die Darmbakterien ihren Stoffwechsel um und lernten zu hungern. Anschliessend übertrugen die Wissenschaftler Stuhlproben, die sie vor und nach der Diät gesammelt hatten, auf keimfreie Mäuse. Ergebnis: Tiere, die den nach der Diät entnommenen Stuhl erhielten, verloren Gewicht – und zwar mehr als zehn Prozent ihrer Körpermasse innerhalb von nur zwei Tagen. Bekamen hingegen Tiere Stuhlproben, die vor der Diät gesammelt worden waren, wurde kein Effekt beobachtet.
Darüber hinaus wird mit Stuhlübertragungen von gesunden auf kranke Menschen schon seit einigen Jahren experimentiert. Dabei wird vor der Transplantation der Darm des Empfängers vollständig entleert resp. von krankmachenden Bakterien mit Antibiotika gereinigt und anschliessend mittels Koloskopie, Nasensonde, Kapseln oder Rektalkatheter das zuvor aufbereitete Stuhlmaterial des gesunden Spenders übertragen. Vor allem bei wiederkehrenden behandlungsresistenten Clostridioides-difficile-Infektionen können damit 80 bis 90 Prozent Heilungserfolge erreicht werden. Bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Colitis ulzerosa oder beim Reizdarmsyndrom konnten solche Stuhlübertragungen bei manchen Patienten schon genauso gute Ergebnisse erzielen. Neuerdings wurde gezeigt, dass auch die Gemeinschaft der Phagen im Darm (Viren, die Bakterien befallen) durch Stuhlübertragungen positiv beeinflusst wird.
Foto: airborne77 / AdobeStock

Newsletter
Jetzt anmelden!

