MCI und Demenz
Wenn das Gedächtnis nachlässt
Autor: JÜRG LENDENMANN
Bereits bevor bei fortschreitendem Alter ein Gedächtnisverlust diagnostiziert werden kann, empfehlen Guidelines vieler Länder die Behandlung mit einem Ginkgo-Medikament.
«Alle 18 Minuten erkrankt in der Schweiz eine Person an Demenz; jährlich kommen 29 500 Neuerkrankungen dazu», sagte die Psychiaterin Marion Reichert Hutzli anlässlich des Pharmaziekongresses pharmaDavos. Die Prognosen seien düster.
Mit zunehmendem Alter nimmt die sogenannte flüssige Intelligenz ab. Sie umfasst Fähigkeiten wie Problemlösen, Lernen und Mustererkennung. Sie korreliert in der Regel mit Messungen des abstrakten Denkens und der Fähigkeit, Denkspiele zu lösen.
Was im Alter erhalten bleibt, ist die kristalline Intelligenz. Sie geht mit Fähigkeiten einher, die von Wissen und Erfahrung abhängen, wie zum Beispiel Wortschatzkenntnisse, allgemeine Informationen und Analogien.
Der Verlust verläuft schleichend
Der Verlust der kognitiven Fähigkeiten, welche das Wahrnehmen, Denken und Erkennen betreffen, vollzieht sich schleichend. Die leichte kognitive Störung – MCI (mild cognitive impairment) – gilt als Vorstufe der Alzheimerkrankheit. «Menschen mit einer MCI zeichnen sich durch Selbstständigkeit im Alltag aus», sagt die Psychiaterin. Das sei bei Menschen mit einer diagnostizierten Alzheimer-Demenz nicht mehr der Fall.
Der Verlust der geistigen Fähigkeiten betrifft einerseits Erlerntes: das Verlernen instrumenteller Fähigkeiten, Vergessen von Verhaltensregeln, Verkennen bekannter Menschen, Vergessen der eigenen Lebensgeschichte und Nicht-Erkennen des eigenen Gesichts.
Andererseits betrifft es das Lernen und das Neugedächtnis. Die Folgen sind Desorientierung in Raum und Zeit, die Unfähigkeit, Neues zu lernen; es kommt zu ständigen Wiederholungen (Fragen, Handlungen), zum «Faden verlieren», der Suche nach vermissten Gegenständen und dem Verlust von Alltagskompetenzen wie Einkaufen, Termine, Körperpflege.
«Die MCI kann komplexe Aufgaben beeinträchtigen wie die Sprache, Planung, das Setzen von Zielen und Prioritäten sowie räumlich-visuelle Funktionen. Zu den Tests bei einer Abklärung gehört auch die bekannte Aufgabe, eine Uhr zu zeichnen.»
Indirekte Folgen der MCI
Als indirekte Folgen auftreten können sozialer Rückzug, Antriebslosigkeit, Missverständnisse, Misstrauen, Beschuldigungen, Aggressivität infolge Frustrationen, belanglose Gespräche, Floskeln, Wiederholungen, Monologe, abhängige bis vereinnahmende Haltung und Verlust der Autonomie. «Oft sind es Zusatzsymptome, die zur psychiatrischen Abklärung führen», sagt die Chefärztin. Dazu zählen Depressionen, Schlafprobleme, Apathie, Agitation und Ängste.
Prävention ist entscheidend
«Pro Jahr gehen zehn bis 15 Prozent der MCI in eine Demenz über. Diese hat fast immer mehrere Ursachen.» Sehr häufig seien es vaskuläre Erkrankungen. Für das Fortschreiten der Erkrankung seien Tau-Proteine und das Anlagern der Amyloid-Plaques verantwortlich. «Zwischen der Amyloid-β-Akkumulation und den klinischen Symptomen liegen mehr als ein Jahrzehnt.»
«Mitte 50, 60 sollte man gegensteuern», sagt die Psychiaterin. «Exogene Faktoren können das Risiko einer Demenz signifikant reduzieren; mehr als ein Drittel der Risikofaktoren sind modifizierbar. Prävention ist daher zentral, denn Demenz ist nicht heilbar.»
In jungen Jahren sei eine gute Ausbildung wichtig, da sie zu vielen Synapsen und Vernetzungen führe. «Diesbezüglich ist die Schweiz ein guter Boden», sagt Marion Reichert Hutzli. Im mittleren Lebensabschnitt wirke sich vor allem ein Hörverlust, der nicht durch ein Hörgerät kompensiert werde, negativ auf die Prognose aus. Risikofaktoren im späteren Leben sind Rauchen, Depressionen, soziale Isolation, Bewegungsmangel, Luftverschmutzung und Diabetes. Zu 40 Prozent könnten diese modifiziert werden.
«Die Veränderung von Lebensgewohnheiten ist etwas sehr Nachhaltiges.»
Die American Heart Association habe die wichtigsten in den «Simple 7» zusammengefasst:
1. Verzicht auf Rauchen,
2. gesunde Ernährung; mindestens zweimal täglich Obst oder Gemüse, Vollkornbrot,
3. körperliche Bewegung; mindestens 150 Minuten pro Woche,
4. Vermeidung von Übergewicht (BMI unter 25),
5. Nüchternblutzucker unter 100 mg/dl,
6. Cholesterin unter 200 mg/dl,
7. Blutdruck unter 120/80 mmHg.
Wichtige Früherkennung
Die Diagnose von MCI oder Demenz erfolgt durch eine Haus- beziehungsweise Facharztpraxis oder durch eine ausführliche testpsychologische Untersuchung in einer Memory Clinic. Um die Autonomie möglichst lange zu erhalten, ist die Früherkennung eminent wichtig. Denn sie beeinflusst vieles: die Sicherheit (Autofahren, Kochen usw.), die Entlastung der Familie und des Pflegepersonals, das frühzeitige Einüben von Verhaltensmustern mit Betreuern, die Regelung der Lebensumstände (letzter Wille, Betreuung), das Recht auf Wissen und auch die Möglichkeit einer spezifischen Behandlung.
«Eine Verzögerung der ersten Krankheitssymptome um fünf Jahre würde zu 50 Prozent weniger Betroffenen innerhalb einer Generation führen, eine Verzögerung von zehn Jahren zu einer Reduktion von 90 Prozent.» Noch bevor eine MCI, aber bereits eine Atherosklerose diagnostiziert werden kann, empfehlen die Leitlinien vieler Länder ein Ginkgo-Präparat mit dem Wirkextrakt EGb 761®. «Ginkgo hat ein multifaktorielles Wirkprofil», sagte die Psychiaterin. «Die Behandlung bewirkt nicht nur ein Hinauszögern der Erkrankung, sondern auch eine leichte Verbesserung.»
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