Hyperaktivität als tägliche Begleiterin

ADHS bei Erwachsenen verstehen

Autor: FABRICE MÜLLER

ADHS bei Erwachsenen: Ein oft unterschätztes Thema

ADHS bei Kindern und Jugendlichen ist ein verbreitetes Phänomen. Dass jedoch auch Erwachsene unter ADHS-Symptomen leiden, ist eher wenig bekannt. Die Symptome reichen von innerer Unruhe bis zu Leistungsproblemen am Arbeitsplatz.

ADHS wurde in den letzten Jahren meist mit Kindern und Jugendlichen in Verbindung gebracht. Weniger bekannt ist, dass auch Erwachsene von ADHS-Symptomen betroffen sind. Laut Marion Wenke, Oberärztin der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern (UPD), geht man davon aus, dass etwa die Hälfte der Kinder, die von ADHS betroffen sind, im Erwachsenenalter weiterhin die Kriterien eines ADHS erfüllen. «Voraussetzung für eine ADHS-Diagnose im Erwachsenenalter ist jedoch immer, dass die Symptome schon in der frühen Kindheit begonnen haben. Zusätzlich muss eine relevante Funktionseinbusse im Leben der Betroffenen vorliegen», gibt Marion Wenke zu bedenken.

Von innerer Nervosität bis zu Hyperaktivität: Die Symptome von ADHS

Unkonzentriertheit, ein impulsives Verhalten sowie Hyperaktivität zählen zu den klassischen ADHS-Verhaltensmustern. «Über die Lebensspanne hinweg kann es bei Erwachsenen zu einem leichten Symptomwandel kommen, indem sich die einst äussere Unruhe zu einer inneren Nervosität oder Rastlosigkeit entwickelt», sagt Marion Wenke. Beim hyperaktiven Subtyp des ADHS treten gehäuft auch Schlafstörungen auf. Kennzeichnend sind weiterhin ein ineffizienter, «chaotischer» Arbeitsstil mit Schwierigkeiten bei der Handlungsplanung und Umsetzung, was nicht selten Probleme in der Alltagsbewältigung nach sich zieht, so die Oberärztin. Trotz oft guter Begabung haben die Betroffenen manchmal Mühe, einen berufsqualifizierenden Abschluss zu erzielen; nicht wenige bleiben dabei unter ihrem eigentlichen Leistungspotenzial. Vor dem Hintergrund der raschen impulsiven Stimmungsschwankungen bei ADHS-Betroffenen kommt es vermehrt zu Missverständnissen und Konflikten in Beziehungen. «Andererseits findet man», so Marion Wenke, «nicht selten Betroffene, die durch ihre Spontanität und Kreativität sowie die Fähigkeit zur interessenbezogenen Fokussierung in einigen Berufen ihre Qualitäten besonders gut und erfolgreich einbringen können.»

Biologische und genetische Ursachen von ADHS: Warum entsteht ADHS?

Was weiss man über die Ursachen von ADHS? «In bis zu 70 Prozent der Fälle ist die Ursache biologisch-genetisch bedingt», sagt Marion Wenke. Dabei scheinen gewisse Regelkreise im Gehirn nicht mehr in der Art zu funktionieren, wie es für ein optimales Zusammenspiel der Hirnareale nötig wäre. Zudem spielt ein Ungleichgewicht von Nervenbotenstoffen eine entscheidende Rolle. Etwa 30 Prozent der Ursachen von ADHS sind gemäss der Psychiaterin auf Umweltfaktoren zurückzuführen. Dazu zählen zum Beispiel Schwangerschaftskomplikationen, Alkohol- oder Nikotinkonsum von werdenden Müttern sowie diverse Schadstoffe, Infektionen oder Verletzungen des Gehirns. In der heutigen Zeit werde das Auftreten von ADHS oft auch im Zusammenhang mit der zunehmenden Belastung durch Elektrosmog bzw. Mobilfunkstrahlung erwähnt, was wissenschaftlich betrachtet noch nicht ausreichend belegt werden könne, ergänzt Marion Wenke.

Folgeerscheinungen von ADHS: Was passiert, wenn ADHS unbehandelt bleibt?

Meist tritt das ADHS nicht alleine auf. Häufig leiden die Betroffenen mehr an den Folgeerscheinungen des unbehandelten Aufmerksamkeitsdefizits im Erwachsenenalter mit drohendem oder bereits eingetretenem Arbeitsplatzverlust, Schulden, Beziehungskrisen, Führerausweisentzug oder Problemen beim Lehrabschluss. Hinzu kommen laut der Psychiaterin ein ausgeprägter subjektiver Leidensdruck sowie eine Beeinträchtigung der Funktionalität im Alltag, Sozialleben, Schule, Ausbildung und Beruf. Regelmässiger Substanzkonsum [wie Alkohole und Cannabis, Anm. der Red.] sei bei ADHS-Betroffenen nicht selten anzutreffen, wobei dies manchmal im Sinne eines Versuchs zur Selbstmedikation geschehe. PC- und Spielsucht könne ebenfalls vorkommen.

Ritalin und regelmässiger Sport

Die ADHS-Diagnose erfolgt über klinische und testpsychologische Abklärungen durch einen Psychiater oder Fachpsychologen. Die ADHS-Behandlung richtet sich zum einen nach dem Schweregrad des ADHS sowie dem Ausmass der funktionellen Beeinträchtigungen und zum anderen nach den Bedürfnissen der Betroffenen. In der Behandlung hätten sich, so Marion Wenke, vor allem Psychostimulanzien wie Ritalin bewährt, was wissenschaftlich hinreichend belegt sei. «Dadurch werden die Ungleichgewichte der Nervenbotenstoffe im Gehirn ausgeglichen. Dies verbessert den Informationsfluss zwischen den Hirnarealen und fördert somit das vernetzte Denken», erläutert Marion Wenke. Zusätzlich zu den Stimulanzien können gezielte Therapien zur Verbesserung der Organisation und Handlungsplanung sinnvoll sein. Wie Studien kürzlich ergeben haben, mindert auch regelmässiger Sport die ADHS-Symptome. Ferner seien feste Strukturen in der Beziehung, im Alltag und am Arbeitsplatz hilfreich. Zu ADHS-Behandlungen mit Methoden aus der Komplementärmedizin gibt es laut Marion Wenke derzeit noch keine gesicherte Studienlage. Universitäre Psychiatrische Dienste Bern (UPD), www.upd.ch

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