Essstörungen
Magersucht, Bulimie und Binge Eating
Autor: REBEKKA THÖNI TOBLER
Essstörungen sind therapiebedürftige Erkrankungen, bei denen der Umgang mit Essen und das Verhältnis zum eigenen Körper gestört sind.
Magersucht, Bulimie und Binge Eating sind die häufigsten Formen von Essstörungen. Zusätzlich gibt es atypische Essstörungen, die sich nicht in die drei Hauptkategorien einteilen lassen.
Etwa 3,5 Prozent der Schweizer Bevölkerung entwickeln im Laufe ihres Lebens eine Essstörung. Die Magersucht beginnt oftmals in der Pubertät, Bulimie und Binge-Eating-Störung entstehen meist später. Frauen sind häufiger betroffen als Männer.
Ursachen und Risikofaktoren
Entwicklungspsychologische Faktoren wie Perfektionismus, Ängstlichkeit, Selbstwertprobleme, depressive Verstimmungen und Regulationsprobleme der Gefühle spielen eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Essstörungen. Dahinter liegen eine gestörte Körperwahrnehmung und ein falsches Körperbild: Magersüchtige und Ess-Brechsüchtige empfinden sich als zu dick, obwohl dies objektiv betrachtet nicht stimmt.
Soziokulturelle Einflüsse sind in der westlichen Leistungsgesellschaft ein treibender Faktor: SpitzensportlerInnen, zum Beispiel im Ballett, Kunstturnen oder Schanzenspringen, sind erfolgreicher mit minimalem Körpergewicht (Anorexia athletica). Dazu wird das Schönheitsideal in der Gesellschaft durch superdünne Models vorgegeben. Soziale Medien und Werbung verstärken diese falschen Schlankheitsideale.
Familiäre und genetische Faktoren werden angenommen, da Persönlichkeitsstörungen der Eltern oft auf Kinder übertragen werden. Gewalt, Vernachlässigung, überbesorgte Eltern oder ein hoher Leistungsanspruch fördern möglicherweise eine Essstörung oder Sucht.
Behandlung von Essstörungen
Je nach individueller Situation erfolgt die Behandlung von Essstörungen ambulant, teilstationär oder stationär. Entscheidend für einen nachhaltigen Erfolg ist eine engmaschige Vernetzung der an der Therapie beteiligten Personen (HausärztInnen, PsychotherapeutInnen, Beratungsstellen, Kliniken). Der Behandlungszeitraum nimmt meist mehrere Monate bis Jahre in Anspruch.
Anorexia nervosa – Magersucht
Prävalenz: Frauen 1,2 Prozent, Männer 0,2 Prozent
Symptome und Diagnose:
– Untergewicht mit einem BMI unter 17,5 kg/m2.
– Ausgeprägte Angst vor einer Gewichtszunahme.
– Betroffene führen den Gewichtsverlust selbst herbei: durch reduziertes Essen, übermässige körperliche Aktivität, Einnehmen von Abführmitteln, Appetitzüglern oder Diuretika.
– Beginnt die Erkrankung vor der Pubertät, so kommt es zum Wachstums- und Entwicklungsstopp. Bei Gewichtszunahme wird die pubertäre Entwicklung meist normal abgeschlossen.
– Im Erwachsenenalter liegen endokrine Störungen auf der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse vor: Bei Frauen bleibt die Menstruation aus (Amenorrhö), bei Männern zeigt sich ein Libido- und Potenzverlust.
Folgeerscheinungen: Mangel- und Fehlernährung können körperliche Symptome hervorrufen: Herzrhythmusstörungen, Schwindel, Magen-Darm-Störungen, Anämie, erhöhte Infektanfälligkeit. Hormonelle Veränderungen führen zu vorzeitiger Osteoporose, zu Amenorrhö und ungewollter Kinderlosigkeit.
Therapie: möglichst rasche Normalisierung von Gewicht und Essverhalten: Mindest-BMI bei Frauen 18,5 kg/m2, bei Männern 19,5 kg/m2. Geregelte Mahlzeitenstruktur entwickeln, gemiedene Nahrungsmittel integrieren, körperliche Aktivität an Gewicht anpassen.
Bulimia nervosa – Ess-Brechsucht
Prävalenz: Frauen 2,4 Prozent, Männer 0,9 Prozent
Symptome und Diagnose:
– Essen beschäftigt PatientIn permanent, unkontrollierbare Gier nach Nahrungsmitteln.
– Essanfälle: in kurzer Zeit sehr grosse Mengen an Nahrung aufnehmen (mindestens zweimal pro Woche während drei Monaten).
– Gegenregulierende Massnahmen, um Gewichtszunahme zu kompensieren: selbst herbeigeführtes Erbrechen, Abführmittel missbrauchen, Hungerperioden einbauen, Einnahme von Appetitzüglern, Schilddrüsenhormonen, Diuretika.
– Krankhafte Angst vor einer selbst auferlegten Gewichtsgrenze, die aus medizinischer Sicht ungesund tief liegt.
– Häufig frühere Episoden von Magersucht.
Folgeerscheinungen: Häufiges Erbrechen verursacht dauerhafte Schäden des Zahnschmelzes und Karies. Wechsel von Essen und Erbrechen kann zu Schwankungen des Flüssigkeits- und Elektrolythaushalts führen und Nierenschädigungen, Ödeme und Herzrhythmusstörungen provozieren. Häufig kommen ebenfalls Entzündungen von Magen und Speiseröhre vor, chronische Verstopfung sowie Mangelerscheinungen im Vitamin- und Mineralstoffhaushalt. Dazu gesellen sich oft depressive Verstimmungen und Ängste, Alkohol- oder Substanzsucht.
Therapie: Regelmässige Mahlzeitenstruktur aufbauen, damit Essanfälle und anschliessende gewichtssenkende Massnahmen reduziert werden. Auslöser von Essanfällen eruieren und Bewältigungsstrategien entwickeln.
Binge-Eating-Störung (BES)
Prävalenz: Frauen 2,4 Prozent, Männer 0,7 Prozent
Symptome und Diagnose: BES-PatientInnen haben meist eine ausgeprägte Impulsivität zusammen mit einem erhöhten Belohnungsbedürfnis (insbesondere für Nahrungsmittel).
– Essanfälle mit übermässiger Nahrungsaufnahme, dazu Gefühl des Kontrollverlusts über das Essverhalten (mind. einmal pro Woche während drei Monaten).
– Essanfälle mit drei der folgenden Symptome:
– Schneller essen als normal.
– Essen bis zu unangenehmem Völlegefühl.
– Grosse Nahrungsmenge verzehren, auch wenn kein Hunger da ist.
– Alleine essen aus Scham über die konsumierte Menge.
– Schuldgefühle, Selbstekel, Niedergeschlagenheit.
– Leidensdruck aufgrund der Essanfälle.
– Fortschreitende Gewichtszunahme, da Essanfälle nicht kompensiert werden.
Folgeerscheinungen: Betroffene verlieren ihr normales Völlegefühl. Bei Essanfällen kann es zu akuter Magenausdehnung mit Gefahr des Platzens kommen. Übergewicht erhöht das Risiko einer metabolisch assoziierten Erkrankung (Bluthochdruck, Herz-Kreislauf, Diabetes, Schlaf-Apnoe-Syndrom).
Therapie: Regelmässige und ausgewogene Mahlzeitenstruktur entwickeln sowie regelmässige Bewegung in den Alltag integrieren (Gewichtskontrolle). Selbstkontrolle über Emotionen und Impulsivität verbessern (Zufriedenheit steigt).
Atypische Essstörungen
Orthorexia nervosa
Wenn der Wunsch, sich gesund zu ernähren, zum Zwang wird. Die Definition gesund oder ungesund wird im Laufe der Zeit immer strikter. Die eigenen Regeln erschweren Mahlzeiten in Gesellschaft. Essen ist nicht mehr Genuss, sondern ein zeitbeanspruchender, täglicher Auftrag.
Night-Eating-Syndrom
Betroffene haben tagsüber keinen Appetit. Sie essen vor dem Zu-Bett-Gehen und nachts; dadurch fehlt ihnen ausreichend Schlaf. Häufig gesellen sich Tagesmüdigkeit und depressive Verstimmungen.
Chewing and Spitting:
Betroffene kauen die Nahrung nur und spucken sie vor dem Schlucken wieder aus.
Pica-Syndrom
Betroffene essen nicht Lebensmittel, sondern ungeniessbare Sachen wie Kreide, Lehm, Sand, Erde, Papier, Stärke.
Schweizerische Gesellschaft für Essstörungen: https://sges-ssta-ssda.ch/ BAG: https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/gesund-leben/gesundheitsfoerderung-und-praevention/koerpergewicht/essstoerungen.html
Newsletter
Jetzt anmelden!