Das grosse Sterben

Viele Spitäler kosten mehr als sie erwirtschaften.

TEXT: HANS WIRZ

Die matchentscheidende Hauptursache: Niemand will wirklich sparen oder verzichten. Womit müssen wir rechnen? Was kommt deshalb auf uns zu? Mehr Schliessungen von Spitälern? Eine positive Auswirkung: Neue Angebotsmöglichkeiten im Fachhandel.

Je nach Umständen verdienen Leistungserbringer gut bis sehr gut oder gehören zu den Verlierern. Wie etwa die Bevölkerung. Wobei das nicht wörtlich zu nehmen ist: Wir alle profitieren vom wissenschaftlichen und technischen Fortschritt, der in den letzten Jahren gewaltig war und auch zurzeit positiv ist. Nur eben zahlen wir dafür schnell wachsende Versicherungsprämien. Wie sieht das grosse Bild aus und welche Chancen eröffnen sich für Unternehmen im Fachhandel? Hauptsächlich zu diesen zwei Themen berichten wir in folgendem Text.

Überraschende Zahlen

Gemäss dem Portal Medinside schreiben sieben von neun grösseren Spitälern, die ihre Zahlen von 2023 bereits präsentiert haben, rote Zahlen. Etwa die Berner Inselgruppe mit einem Minus von 113 Millionen Franken, das Universitätsspital Zürich mit 49 Mio., das KS Winterthur mit 49 Mio. Verlusten, das KS Aarau mit einem Abschreiber von 240 Mio. Die Spitäler in St. Gallen produzierten rund 100 Mio. Verluste. Wie konnte das passieren, diese Häufung von Verlusten?

Die herausfordernde Situation

Es ist in manchen Bereichen des Lebens Mode geworden, grosse Investitionen zu tätigen, ohne vorher über deren Finanzierung nachzudenken. Gleichzeitig sind marketingmässige Anforderungen immer wichtiger geworden; beispielsweise die «Hotellerie» in Spitälern, Heimen und anderen Hotspots des Krankheitswesens. Leicht übertrieben gesagt wird offensichtlich sehr gutes Essen zunehmend wichtiger als medizinisches Können. Anders gesagt: Der freie Wettbewerb hat versagt. Frei ist er im Gesundheitsbereich eh nicht, behördliche Regulierungen schränken die Lust auf Selbstständigkeit immer mehr ein.

Keine Frage, die Schweiz betreibt mit gegen 300 Spitälern etliche zu viel, zehn davon werden in absehbarer Zeit schliessen – nach welchen Kriterien? An welchen Standorten?

Grundlegende Fehler im System

Das System ist falsch: Die Kantone sind oft Eigentümer der Spitäler, betreiben sie nach Regeln, die sie für sich selbst aufgestellt haben und kontrollieren ebenfalls nach eigenem Gutdünken. Da Spitäler Kantonssache sind, wäre es dringend nötig, über Schliessungen nicht kantonal, sondern regional zu entscheiden. Ob sich das machen lässt?

Andererseits fällt es grossen Teilen der Bevölkerung immer schwerer, das Krankheitswesen zu finanzieren. Im Vordergrund stehen immer höhere Versicherungsprämien, zudem zahlen wir eigentlich zusätzlich das Dreifache über die Steuern, prozentuale Belastungen je Krankheitsfall und nicht verschreibbare Therapien.

Preistreibende Faktoren

Unser Wohlstandswachstum führt immer mehr zu Steigerungen des gewünschten Luxus. Zudem wächst das Alterssegment – die Menschen werden älter. Da Gesundheit als höchstes Gut gilt, darf sie offensichtlich immer teurer werden. Ob deshalb weniger in die Ferien gefahren wird? Wohl kaum.

Gründlich falsch geschätzt, aber …

Als vor Jahren im Gesundheitsbereich ein neues Finanzierungsmodell eingeführt wurde, setzte man voll auf Fallpauschalen. Also auf feste Preise für bestimmte Eingriffe wie beispielsweise Hüftgelenkersatz, Herzoperationen oder Leistenbrüche; und zwar auch im ambulanten Bereich. Da letzterer umfangmässig wachsen soll, muss man wohl den Spitälern Preiserhöhungen zubilligen – was natürlich teilweise saftige Prämiensteigerungen nach sich ziehen wird.

… wirksame Sparmassnahmen wären möglich

Rezepte gegen Verluste gäbe es, lösen aber bei vielen Leistungserbringern Abwehrreflexe, Existenz- und Imageverlustängste aus. Trotzdem wird es sicher Möglichkeiten geben, die als Beispiele genannt und geprüft werden sollten:

  • Ausdünnung des Leistungskatalogs, denn die Krankheitsversicherung soll nicht eine Vollkaskoversicherung sein, sondern die wichtigsten und häufigsten Vorfälle abdecken.
  • Höhere Selbstbehalte könnten die Nachfrage ebenfalls bremsen.
  • Das Verhältnis Kosten / Nutzen schärfer zu kontrollieren, würde zu besserer Wirtschaftlichkeit führen.
  • Verwaltungskosten senken ist nie falsch.
  • Digitalisierung vorwärtstreiben, denn da sind wir offenbar um Jahrzehnte im Rückstand.
  • Anteil ambulante / stationäre Therapien von 20/80 auf 80/20 umdrehen.
  • Einheitskasse könnte Kostenersparnis bringen.
  • Prävention stärken; Therapien vermeiden ist intelligent.

Fazit: Mit vielen dieser Massnahmen wird allerdings nicht gespart, sondern nur die Bezahlungslast zuungunsten der Bevölkerung verschoben. Was man komischerweise offiziell als «mehr Verantwortung übernehmen» deklariert.

… sind aber (noch) tabu

Die Schweiz ist ein Land, das Fehlentwicklungen schnell erkennt und benennt, dann jedoch sehr langsam wird, wenn umgesetzt werden soll. Oft werden im letzten Moment noch Veränderungen beschlossen; Langsamkeit und Ergänzungen wirken in der Regel verteuernd. Genauso ist es in Bezug auf die Spitallandschaft. Wie bereits erwähnt: Gegen 300 Spitäler haben wir zurzeit in Betrieb, viel weniger werden es auch mittelfristig nicht sein. Wenigstens so lange sich immer wieder kleinere und grosse Kässeli finden lassen.

Chancen für den Fachhandel

In Apotheken und Drogerien lassen sich keine Betten aufstellen. Aber es macht Sinn, zwecks Unterstützung der Gesundheit die Waffe der Prävention früher und umfassender zu nutzen. Viel früher. Mit der Gewissheit, dass die Schweizerinnen und Schweizer gerne gutes Geld ausgeben, wenn es um ein «Gesundheits-Plus» geht. Einige Bereiche viel breiter, tiefer, professioneller und kundennäher als bisher einsetzen:

  • Ernährung, die moderne Menschen mit ihren sich laufend verändernden Möglichkeiten anspricht. Warum nicht kurze Abendkurse anbieten, auch für Männer? Inklusive Einsatz von neuen technischen Hilfsmitteln? Oder einen Frischeservice präsentieren?
  • Präventions-Kurzberatungen, mehrere gleichzeitig mit Auswahlmöglichkeiten für verschiedene Therapien?
  • Fremdsprachige Kurzberatungen.
  • Bewegung einbeziehen.

Man sollte sich aber keinen Illusionen hingeben: Neue Angebote (wie die erwähnten) aufzubauen, erfordert massive Investitionen, entsprechende Räumlichkeiten und Einrichtungen, Ausbildung und langfristiges Denken und Handeln. Die Zukunft klopft an.

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